„Am einfachsten kann man mit dieser Überzeugung brechen, indem man seinen eigenen Modestil findet, denn man kann Dinge ausdrücken, ohne dabei etwas zu sagen.“
Du bist gerade in Tokio gelandet − zurück aus Shanghai und von der monumentalen Ausstellung zur Feier von 20 Jahren CLOT. Du hast in vielen Bereichen Kultstatus erreicht. Du bist zurück in adidas Sneakern ... aber vielleicht können wir für alle, die dich noch nicht so gut kennen, ein bisschen zurück in der Geschichte gehen − wo kommst du her und wo bist du jetzt?
Ich bin in Vancouver, Kanada, geboren und in einfachen Verhältnissen aufgewachsen − sehr einfachen sogar. Meine Schwestern und ich, wir sind damals mit dem Fahrrad zum nächsten Lebensmittelgeschäft gefahren und haben dort Süßigkeiten gekauft. Als ich neun Jahre alt war, habe ich zum ersten Mal meinen Vater getroffen, in Hongkong, und irgendwas in mir hat mir gesagt, ich muss meinem Vater folgen. Ich bin also nach Hongkong gezogen, was für mich ein großer Kulturschock war. Bis 1997 bin ich in Hongkong geblieben. Ich habe mehr über die chinesische Kultur erfahren und Kantonesisch gelernt. Ich war auf einer internationalen Schule, also habe ich auch viele internationale Kids kennengelernt. Hongkong hat mir verschiedene Kulturen und Perspektiven gezeigt und mir die Augen für die Globalisierung geöffnet.
1997/98 war ich kurz in New York, kurz in Vancouver. 1999 habe ich dann einen Sommer in Hongkong verbracht. Irgendwann in einem Club − ich war damals 19, also war es schon okay für mich, in einem Club zu sein [lacht] − hat man mich von der Straße weg für einen Werbespot gecastet. Ich habe den Werbespot gedreht und siehe da, auf einmal ruft mich Jackie Chan an und nimmt mich unter Vertrag. Dadurch landete ich dann in der Entertainment-Branche. Ich habe meinen ersten Film gedreht und wurde über Nacht berühmt. Damals wusste ich nicht, was ich davon halten sollte. Es war eine bewusstseinsverändernde Erfahrung. Ich habe mich irgendwie an die Kultur gewöhnt, aber es hat mir nicht gefallen, dass ich mich fühlte, als hätte ich keine Persönlichkeitsrechte. Ich fühlte mich wie ein Stück Fleisch.
Ich habe meinen zweiten Film abgedreht, und meine Management-Firma hat mich für 2,5 Millionen US-Dollar verkauft. Das habe ich auf einer Pressekonferenz herausgefunden. Sie haben gesagt, sie könnten mit mir machen, was sie wollten. Und ich habe gesagt, was bekomme ich von den 2,5 Millionen ab? Ich habe nichts bekommen.
Das war ein sehr wichtiger Moment. Ich habe damals zu ihnen gesagt: „Ihr besitzt mich nicht und ihr könnt mir nicht sagen, was ich zu tun habe. Und ich wünsche euch viel Glück dabei, mich zu finden ...“ und ich kam nach Japan. Ich kam nach Japan und war in Asien damals schon sehr groß, ein richtiger neuer Frauenschwarm, und viele, die ich als meine Idole betrachtet habe und die jetzt meine Freunde sind, sagten zu mir: „Was machst du hier die ganze Zeit? Drehst du einen Film?“ Ich habe meine Situation erklärt und sie sagten: „Hey, weißt du was? Wir brauchen jemanden wie dich, der die Jugendkultur in China vorantreibt.“ Also bin ich zurück nach Hongkong gegangen und habe Clot und Juice gegründet, zu 100 % in meinem Besitz und unabhängig. Das war mein Befreiungsschlag. In diesem Moment hatte ich die volle Kontrolle darüber, wer und was ich in Zukunft sein möchte.
Dann im Jahr 2008 wollte ich Asien von einem Tag auf den anderen verlassen. Meine Entscheidung fiel auf Los Angeles, dort habe ich mich schon immer zu Hause gefühlt. Ich bin der Stadt sehr dankbar. Ich habe ein Netzwerk aus wirklich guten Freunden dort aufgebaut. Und viele dieser Leute wussten am Anfang überhaupt nicht, was ich mache. Damit wurde meine Berühmtheit quasi begraben. Ich liebte es. Ich liebte es, einfach nur wieder der Typ von nebenan zu sein. In LA konnte ich in einer vollständig anderen Welt sein. Ich verspürte ein neues Wohlbefinden, eine neue Leidenschaft. Ich verspürte ein neues Gemeinschaftsgefühl. Jetzt war es mir wirklich möglich, das zu tun, was ich wollte.
Sprechen wir über die dir offensichtlich auferlegte Rolle als inoffizieller weltweiter Botschafter für die chinesische Jugendkultur.
Irgendwie war ich plötzlich in dieser Rolle. Ich habe es gar nicht darauf angelegt, aber viele sagen, dass ich ein Beauftragter für die chinesische Kultur bin, dass es cool ist, wie ich die Tradition und Kultur in meine Kreationen einfließen lasse, aber ich habe das wirklich unbewusst gemacht. Und so wurde ich zum Botschafter dafür.
„Viele sagen, ich tue das für die chinesische Kultur. Nein, ich tue das für die Kultur. Ich kreiere keine Schuhe für Chinesen, ich kreiere Schuhe mit einer chinesischen Denkweise für die Welt.“
Nachdem du aus deinem Stützpunkt in LA heraus tätig warst und so viele Jahre aus China weg warst, und jetzt wieder zurückgehst, siehst du dort einen Fortschritt?
Während der gesamten Pandemie war ich nicht in China. Ich ging dann zurück und sah, wie die Leute sich ausdrücken, und ich dachte: „Wow, ich möchte ein Teil davon sein.“ Früher habe ich gesagt, dass China fünf bis acht Jahre zurück ist, und ich meine das gar nicht beleidigend, sondern aus einem sehr offenen und interessierten Blickwinkel. Heute habe ich das Gefühl, die Leute dort sind bereit, wieder durchzustarten. Vor fünf Jahren haben sie sich nicht mal so angezogen, wie sie wollten, und am einfachsten kann man mit dieser Überzeugung brechen, indem man seinen eigenen Modestil findet, denn man kann Dinge ausdrücken, ohne dabei etwas zu sagen.
Der erste Schritt ist also getan und ich denke, ich musste etwas tun, um die Leute dorthin zu bringen. Der nächste Schritt besteht darin, ihnen dabei zu helfen, ein Verständnis dafür aufzubauen und ihre Gedanken weiter zu festigen und diese Gedanken der Welt zu präsentieren. Deshalb sagte ich nach 20 Jahren, ich spüre mehr Begeisterung als je zuvor. Jetzt versuche ich, den nächsten Edison Chen zu finden − die nächste Person, die die Kultur vorantreiben wird. Mit adidas starten wir jetzt ein Projekt mit dem Namen „Submission Box“ in China. Ich sagte, ihr habt eine Plattform, lasst uns etwas machen ... ich hatte das Gefühl, wenn diese neuen Kids auf internationaler Ebene agieren können, dann ist das auch wichtig für den internationalen Markt.
Viele sagen, ich tue das für die chinesische Kultur. Nein, ich tue das für die Kultur. Ich kreiere keine Schuhe für Chinesen, ich kreiere Schuhe mit einer chinesischen Denkweise für die Welt.
„Wenn jeder sagt, er macht Streetwear, dann musst du für dich einen anderen Weg finden.“
Wir freuen uns sehr, dass du wieder zu unserer Vielfalt beiträgst. Die neue Saison steht bevor. Was würdest du sagen: Wie haben sich dein Stil und deine Herangehensweise in diesem neuen Kapitel von EDC und adidas verändert?
Ich denke, mein gesamter Stil hat sich komplett verändert. Vielleicht nicht heute, denn ich trage Kleidung für den Flug, aber mein Geschmack hat sich weiterentwickelt und ich habe nicht wirklich mit diesem Blickwinkel kreiert.
Ich habe den ganzen Sommer in Europa verbracht, war in all diesen Kleinstädten und das Kulturgut dort ist der Wahnsinn. Der europäische Blickwinkel hat mir eine vollständige neue Farbpalette beschert und mich auf eine andere Art inspiriert. Ich denke also, dass der neue EDC-Vibe edler ist, also nicht nur Streetwear. Wir sind an einem Punkt, an dem alles Streetwar ist, stimmt´s? McDonalds ist irgendwie auch Streetwear. Wirklich? Wow, das ist cool. Das ist für mich okay. Louis Vuitton ist Streetwear, wer hätte das gedacht? Wenn jeder sagt, er macht Streetwear, dann musst du für dich einen anderen Weg finden.
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